Mathias Bamert
Mathias Bamert
29.09.2025

Die wichtigsten Grundregeln für Bildkompositionen

Gute Fotografie entsteht im Kopf — bevor du auf den Auslöser drückst. Besonders in der Situations- und Portraitfotografie entscheidet schon die Auswahl des Motivs und dessen Platzierung über Wirkung, Erzählkraft und Ästhetik. Im Folgenden findest du die zehn essenziellen Kompositionsregeln, jeweils mit Hinweisen, wie du sie praktisch einsetzen sowie gezielt brechen kannst — und mit Links zu weiterführenden Beiträgen im Netz.

Bildkomposition

Das «richtige» Motiv finden

Bevor du mit Kompositionstechniken arbeitest, entscheide bewusst: Welcher Moment oder welche Person interessiert dich? Welches Thema willst du erzählen? Ein starkes Motiv liefert dir eine klare Bildidee.

  • Im Dokument «Doppeltes Dreieck» lehrt Martin Zurmühle, dass Technik, Komposition und Wirkung im Zusammenspiel stehen — doch das Motiv ist Teil des Rahmendreiecks, also essenziell für die Bildqualität (Wikipedia).
  • Wähle Motive mit Potential: starke Formen, Charakter, Spannung, Bewegung — und manchmal das gerade Ungewöhnliche.

Die nachfolgenden Regeln helfen dir, das Motiv optimal zu inszenieren.

Doppelte dreieck

Quelle: Wikipedia

1. Drittelregel / Goldener Schnitt

Die Drittelregel ist eine der bekanntesten Grundregeln in der Fotografie: Du teilst dein Bild mit zwei vertikalen und zwei horizontalen Linien in neun gleich grosse Felder. Wenn du dein Hauptmotiv auf einer dieser Linien oder Schnittpunkte platzierst, wirkt das Bild sofort lebendiger und spannender als bei einer starren Zentralplatzierung.

Der Goldene Schnitt geht noch einen Schritt weiter: Er orientiert sich an einem mathematischen Verhältnis (ca. 1:1,618), das wir Menschen seit Jahrhunderten als besonders harmonisch empfinden – in Kunst, Architektur und Design. In der Praxis bedeutet das: Dein Motiv wird nicht genau ins Drittel verschoben, sondern ein kleines Stück näher an die Mitte. Dieser leichte Unterschied macht die Komposition natürlicher und angenehmer fürs Auge.

  • Umgebung: Lege den Horizont etwas ober- oder unterhalb der Mitte, um Weite oder Tiefe zu betonen.
  • Situation: Fange Bewegungen oder Interaktionen so ein, dass sie auf einem der harmonischen Schnittpunkte stattfinden – das lenkt den Blick des Betrachters dorthin.
  • Portrait: Platziere die Augen leicht oberhalb der Mitte. Das wirkt automatisch ausbalanciert und natürlich.

👉 Praxistipp: Viele Kameras und Smartphones bieten ein Raster an. Nutze es als Orientierung, um Motive nicht mittig, sondern bewusst im Goldenen Schnitt zu platzieren.

Goldener schnitt
Sonnenuntergang Goldene Spirale

Quelle: Backpacker Buddies

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Quelle: Cewe

Goldenerschnittanwenden

Quelle: Vodafone

2. Führungslinien und Richtungen nutzen

Linien sind ein starkes Gestaltungsmittel, weil sie den Blick des Betrachters automatisch lenken. Unser Auge folgt ihnen fast unbewusst – egal ob es sich um Strassen, Wege, Flussläufe, Geländer, Zäune oder architektonische Strukturen handelt. Auch Schatten oder Lichtkanten können als Linien wirken.

  • Umgebung: Lass Strassen oder Gebäudeachsen ins Bild hineinlaufen. Das schafft Tiefe und führt den Blick direkt ins Geschehen.
  • Situation: Nutze Blickrichtungen, Körperhaltungen oder Bewegungen von Menschen als «unsichtbare Linien», die Aufmerksamkeit erzeugen.
  • Portrait: Setze Linien im Hintergrund so, dass sie die Person betonen – vermeide jedoch, dass sie durch den Kopf «schneiden».

👉 Praxistipp: Suche beim Fotografieren gezielt nach Linien im Raum. Schon ein kleiner Schritt zur Seite kann dafür sorgen, dass eine Treppe oder ein Weg als starker visueller «Einstieg» ins Bild wirkt.

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3. Hintergrund bewusst gestalten

Der Hintergrund ist oft der unsichtbare Spielverderber in einem Foto. Selbst ein starkes Motiv verliert Wirkung, wenn dahinter Chaos herrscht: ein Laternenpfahl, der aus einem Kopf „wächst“, grelle Farben, die ablenken, oder eine Menschenmenge, die dem Bild die Ruhe nimmt. Ein klar gestalteter Hintergrund dagegen verstärkt das Motiv und lenkt den Blick gezielt.

  • Umgebung: Bei Weitwinkelaufnahmen nimm dir Zeit, die Szene aufgeräumt wirken zu lassen. Achte auf Linien, Wiederholungen und Flächen, die den Gesamteindruck ordnen. Ein strukturierter Hintergrund vermittelt dem Betrachter sofort Orientierung.
  • Situation: In lebendigen Momenten ist der Hintergrund oft unruhig. Versuche, dich so zu positionieren, dass er nicht vom eigentlichen Geschehen ablenkt – z. B. durch eine andere Perspektive, eine offene Blende (Unschärfe) oder bewusstes Auswählen eines Ausschnitts.
  • Portrait: Der Hintergrund darf den Bezug zum Ort zeigen, soll aber nicht die Hauptrolle übernehmen. Ein einfacher Trick: Nutze Architektur, Natur oder farbige Flächen als ruhige Bühne, auf der die Person klar hervorsticht.

👉 Praxistipp: Gewöhne dir an, nicht nur das Motiv im Sucher zu betrachten, sondern den gesamten Bildrahmen. Frag dich: Unterstützt der Hintergrund meine Bildaussage – oder lenkt er ab?

4. Negativraum einsetzen

Leere Flächen wirken auf den ersten Blick unspektakulär, sind aber ein mächtiges Gestaltungsmittel. Sie geben dem Motiv Raum zum Atmen, erzeugen Ruhe und lenken die Aufmerksamkeit. Ein bewusst eingesetzter Negativraum kann ein Bild spannender machen als ein voller Rahmen.

  • Umgebung: Weite Himmelsflächen, kahle Wände oder offene Plätze unterstreichen die Atmosphäre des Ortes. Weniger Details verstärken die Stimmung.
  • Situation: Ein einzelner Mensch in einer grossen, leeren Fläche erzählt oft mehr über Einsamkeit oder Dynamik als eine volle Szene.
  • Portrait: Ein ruhiger Hintergrund mit viel Leerraum betont die Persönlichkeit der abgebildeten Person. So entsteht Klarheit und Konzentration auf das Wesentliche.

👉 Praxistipp: Hab keine Angst vor „zu viel Leere“. Sie kann Spannung erzeugen – ähnlich wie eine Pause in der Musik.

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5. Blick- und Bewegungsrichtung beachten

Menschen, Tiere oder Objekte „brauchen Platz“, um sich im Bild zu bewegen oder hineinzuschauen. Wenn dieser Raum fehlt, wirkt das Foto gequetscht. Gib deinem Motiv Luft in die Richtung, in die es schaut oder geht.

  • Umgebung: Fahrzeuge oder Passanten sollten so ins Bild laufen, dass noch Raum vor ihnen bleibt – das erzeugt Dynamik.
  • Situation: Bei Interaktionen lohnt es sich, Raum zwischen den handelnden Personen einzuplanen. Dieser Zwischenraum erzählt oft die eigentliche Geschichte.
  • Portrait: Ein Portrait wirkt natürlicher, wenn der Blick in die Bildfläche hineinführt und nicht knapp am Rand endet.

👉 Praxistipp: Denk dir unsichtbare Pfeile, wohin sich dein Motiv bewegt oder schaut – und lass diesen Raum bewusst frei.

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Vogel

6. Symmetrien und Muster erkennen

Symmetrien und wiederkehrende Muster ziehen den Betrachter magisch an, weil unser Auge Ordnung liebt. Sie wirken klar, strukturiert und oft sehr ästhetisch. Du kannst Symmetrien bewusst betonen oder subtil brechen, um Spannung zu erzeugen.

  • Umgebung: Architektur eignet sich hervorragend: Treppen, Fensterreihen, Spiegelungen. Eine zentrierte Perspektive verstärkt den Effekt.
  • Situation: Symmetrie durchbricht man oft mit einem einzelnen Menschen oder Objekt – das erzeugt Spannung und Überraschung.
  • Portrait: Platziere dein Model in einer symmetrischen Umgebung, sodass die Person zum ruhigen Gegenpol der Struktur wird.

👉 Praxistipp: Nimm dir Zeit, dich exakt mittig oder im richtigen Winkel zu positionieren – schon kleine Verschiebungen können Symmetrien zerstören.

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7. Schärfentiefe bewusst steuern

Die Wahl der Blende ist ein zentrales Werkzeug der Bildgestaltung. Schärfe und Unschärfe bestimmen, worauf der Blick fällt – und was in den Hintergrund tritt.

  • Umgebung: Eine kleine Blende (grosse Tiefenschärfe) macht Details im Vorder- und Hintergrund sichtbar und lässt den Ort als Ganzes wirken.
  • Situation: Entscheide, ob du den gesamten Moment oder nur ein Detail betonen willst. Eine offene Blende isoliert Handlung, eine geschlossene erzählt die volle Geschichte.
  • Portrait: Mit offener Blende (z. B. f/2.8) kannst du das Gesicht freistellen, während der Hintergrund weich verschwimmt – so bleibt der Ort angedeutet, aber nicht dominant.

👉 Praxistipp: Spiele bewusst mit verschiedenen Blenden – die Veränderung der Bildwirkung wird dich überraschen.

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8. Balance im Bild finden

Jedes Bildelement hat Gewicht – durch Grösse, Helligkeit, Farbe oder Position. Ein unausgeglichenes Bild wirkt unruhig, ein balanciertes Bild hingegen angenehm. Es geht nicht um perfekte Symmetrie, sondern um ein visuelles Gleichgewicht.

  • Umgebung: Eine grosse dunkle Fläche rechts kann links ein helles oder kleineres Gegenelement brauchen.
  • Situation: Eine Person im Vordergrund kann durch ein Objekt oder eine Bewegung im Hintergrund ausbalanciert werden.
  • Portrait: Achte darauf, dass Accessoires, Farben oder Strukturen im Hintergrund nicht das Gesicht „überstimmen“.

👉 Praxistipp: Halte kurz inne und frag dich: Kippen die Gewichte im Bild auf eine Seite? Wenn ja, korrigiere durch Neupositionierung oder Bildausschnitt.

9. Natürliches Licht bewusst nutzen

Licht ist das zentrale Gestaltungsmittel in der Fotografie – es bestimmt Stimmung, Tiefe und Ausdruck eines Bildes. Gerade bei Aussenaufnahmen oder in Räumen mit grossen Fenstern lohnt es sich, das vorhandene Licht bewusst einzusetzen und zu formen.

  • Umgebung: Wolken wirken wie ein riesiger Diffusor. Sie streuen das Sonnenlicht und verhindern harte Schatten. Ein bewölkter Himmel macht Farben satter und Strukturen klarer sichtbar.
  • Situation: Spiele mit Richtungen: Seitenlicht betont Bewegung und Dynamik, Gegenlicht kann Silhouetten schaffen, Streiflicht hebt Texturen hervor. Beobachte, wie sich die Szene mit der Tageszeit verändert.
  • Portrait: Harte Mittagssonne erzeugt unschöne Schatten im Gesicht. Nutze stattdessen Schattenplätze, Wolken oder Reflektionsflächen (z. B. helle Wände, Boden), um weiches, schmeichelndes Licht zu bekommen.

👉 Praxistipp: Halte Ausschau nach natürlichen „Hilfsmitteln“ wie Wolken, Fenster, Türen oder helle Fassaden. Sie können als Diffusor oder Reflektor dienen – ganz ohne zusätzliche Technik.

10. Regeln brechen – aber bewusst

Alle Regeln sind Werkzeuge, keine Gesetze. Manchmal entsteht die stärkste Wirkung, wenn du sie gezielt brichst: Ein schiefer Horizont kann Dynamik erzeugen, ein mittig gesetztes Gesicht kann enorme Intensität haben, zu viel Leere kann Spannung schaffen.

  • Umgebung: Extreme Perspektiven oder absichtlich schiefe Linien wirken ungewöhnlich und auffallend.
  • Situation: Bewegungen knapp anschneiden, um Tempo zu zeigen.
  • Portrait: Eine strenge Zentralperspektive oder harte Schatten können das Bild kantiger machen.

👉 Praxistipp: Brich Regeln nie zufällig. Stell dir vorher die Frage: „Was will ich mit diesem Regelbruch erreichen?“ Wenn du eine klare Antwort hast, wird das Bild stärker.

Zusammenfassung

Zuoberst steht die Motivwahl: Entscheide dich klar für ein Thema oder eine Aussage – Atmosphäre, Handlung oder Persönlichkeit.

  1. Drittelregel / Goldener Schnitt: Platziere Motive nicht mittig, sondern auf harmonischen Schnittpunkten für mehr Spannung.
  2. Führungslinien: Nutze Wege, Mauern, Blickrichtungen oder Licht, um den Betrachter ins Bild zu leiten.
  3. Hintergrund: Halte ihn ruhig und klar strukturiert, damit er das Motiv unterstützt statt ablenkt.
  4. Negativraum: Leerflächen erzeugen Fokus, Ruhe und Ausdruckskraft.
  5. Blick- und Bewegungsrichtung: Gib deinem Motiv Raum in die Richtung, in die es schaut oder sich bewegt.
  6. Symmetrien & Muster: Nutze Ordnung und Wiederholung – oder brich sie gezielt für Spannung.
  7. Schärfentiefe: Wähle die Blende so, dass Schärfe und Unschärfe den Blick lenken.
  8. Balance: Achte auf visuelles Gleichgewicht – jedes Element hat Gewicht im Bild.
  9. Regeln brechen: Setze Regelverstösse bewusst ein, um besondere Wirkung zu erzielen.
  10. Natürliches Licht: Nutze vorhandenes Licht kreativ – Wolken als Diffusor, Schatten als Schutz, Reflektionen für weiches Licht.